Digitalisierung schnell und effizient: Nürnbergs Wohngeldroboter
Er arbeitet fleißig und zuverlässig, doch auf den Fluren des Nürnberger Sozialamtes wird man ihm nie begegnen: „Woggybot“ ist ein unsichtbarer Kollege. Dennoch könnte man ihm beim Arbeiten zuschauen: „Wäre der Monitor eingeschaltet, sähe man, wie sich der Mauszeiger bewegt“, sagt Elisabeth Ries, Referentin für Jugend, Familie und Soziales bei der Stadt Nürnberg.
Der Woggybot – das klingt charmanter als „Wohngeldroboter“ – ist eine Software, die exakt dieselben Arbeitsschritte ablaufen lässt, die Sachbearbeitende ausführen, wenn sie damit beginnen, einen Antrag auf Wohngeld zu bearbeiten – E-Mailprogramm öffnen, Dokument speichern, Vollständigkeit der Angaben prüfen, Daten mit dem Melderegister abgleichen, eine digitale Akte anlegen. „Es sind einfache Abläufe, aber es ist es sehr hilfreich, dass der Woggybot uns die monotone Vorarbeit bis zur Berechnung des Wohngeldes abnimmt“, sagt Ries.
Derzeit kann der Woggybot nur digitale Wohngeldanträge bearbeiten. Praktisch ist, dass diese bei den Pflichtfeldern immer vollständig ausgefüllt sind, denn nur dann können die Antragstellenden das Online-Formular absenden – eine Garantie für korrekte Angaben und vollständige Anlagen ist das zwar nicht, aber: Auf Papier eingereichte Anträge sind öfter lückenhaft oder fehlerhaft, was den Aufwand für die Sachbearbeiter und Sachbearbeiterinnen erhöht.
Ausschlaggebend für die Entwicklung des Woggybot war die tiefgreifende Wohngeldreform zum 1. Januar 2023, die alle Kommunen in Deutschland vor enorme bürokratische Herausforderungen stellte. Weil das neue Wohngeld Plus Haushalte mit niedrigem Einkommen auch mit Zuschüssen für die stark gestiegenen Strom- und Heizkosten unterstützt, vervielfachte sich auf einen Schlag die Zahl der Anspruchsberechtigten; zudem änderte sich das Antragsverfahren. Die Stadtverwaltung von Nürnberg rechnete mit der doppelten oder sogar dreifachen Menge an Wohngeldanträgen. Hinzu kam: Zwischen der Verabschiedung und dem Inkrafttreten des Gesetzes lagen gerade einmal vier Wochen.
„Um diesen Aufwand zu bewältigen, haben wir mehr Personal eingestellt, das ja auch noch eingearbeitet werden musste. Parallel haben wir nach digitalen Lösungen gesucht“, berichtet Ries. Als großer Vorteil erwies sich, dass die Stadt Nürnberg bereits mit einem Digitaldienstleister zusammenarbeitete.
„Wir wussten ja, dass ein sprunghafter Anstieg der Wohngeldanträge auf uns zukommt“, sagt Sozialreferentin Ries. „Deshalb hatten wir schon im Spätherbst 2022 die Anstrengungen des Fachamts, der IT-Abteilung der Stadtverwaltung und des Digitaldienstleisters gebündelt.“ Innerhalb weniger Wochen begannen die Testläufe für die Automatisierung. Anfangs war der Woggybot noch sehr fehleranfällig. Er kam bei unterschiedlichen Schreibweisen von Namen und Adressen durcheinander, etwa bei Umlauten, was keine Banalität ist, wenn die Stadt Nürnberg heißt. „Wir haben ihn trainiert, bis es klappte.“
Ein Lerneffekt bei der Programmierung des Woggybots: Selbst bei einem vergleichsweise simplen Prozess kommt es auf viele kleine Stellschrauben an.
Die erfahrene Referentin meint, dass sich nicht jede digitale Lösung am grünen Tisch entwickeln lässt. „Ich finde es ermüdend, wenn man uns immer wieder Estland als leuchtendes Beispiel für eine umfassend digitalisierte Verwaltung vorhält. Das ist überhaupt nicht mit Deutschland vergleichbar, denn hier haben wir ein über Jahrzehnte gewachsenes, komplexes System, außerdem föderale Strukturen. Es ist sinnvoll, sich von innovativen Lösungen inspirieren zu lassen, aber man kann unseren Bedingungskontext nicht außer Acht lassen.“
Aus eigener Kraft können die wenigsten Stadtverwaltungen die Digitalisierung stemmen. Gute IT-Entwickler sind auf dem Arbeitsmarkt begehrt, hier konkurrieren die Kommunen mit den Unternehmen der freien Wirtschaft, die höhere Gehälter zahlen können als der öffentliche Dienst. Weil das Vergaberecht erfordert, dass größere Aufträge ein Ausschreibungsverfahren durchlaufen, ist es gut, wenn eine Kommune schon einen Rahmenvertrag mit einem Digitaldienstleister hat. Aus ihrer Erfahrung leitet Ries eine Faustregel ab: Prozesse identifizieren, bei denen die Skaleneffekte so groß sind, dass sich die Anfangsinvestition lohnt.
Dank Digitalisierung laufen viele Prozesse schneller und effizienter ab, doch daraus ergeben sich auch Zielkonflikte: „Einzelfallgerechtigkeit steht im Gegensatz zur Einfachheit,“ gibt Ries zu bedenken Denn nicht alle Fälle – spricht: Menschen mit ihren individuellen Lebenssituationen und Schicksalen – lassen sich über einen Kamm scheren. Auch nicht digital. Folglich wird es trotz zunehmender Digitalisierung immer genug Fälle geben, die nur von Mensch zu Mensch in der Amtsstube gelöst werden können.